Geschichtswerkstatt Hölzenhausen
Nassauischer Löwe

 

Materialien der Geschichtswerkstatt Hölzenhausen

erfehrt” – ein Wort aus der nassauischen Sprache im “Wilhelmus”,
der niederländischen Nationalhymne


Von Peter Eisenburger

Das Wort „erfehrt” (auch: „erfährt”) wird von vielen älteren Oberwesterwäldern noch benutzt. Es bedeutet „erschrocken”. Jemanden „erfehrt” machen, heißt: jemanden erschrecken.

Nur wenige wissen, dass „erfehrt” in der deutschen Urversion der Niederländischen Nationalhymne, dem „Wilhelmus”, an prominenter Stelle vorkommt. Dort heißt es in 1. Strophe: „bin ich frey unerfehrt” = bin ich frei und unerschrocken.

„erfehrt” ist abgeleitet vom althochdeutschen Var, Far, Fara = Furcht. Außer in dem alten nassauischen Dialekt ist dieses Wort nur noch in ganz wenigen deutschen Dialekten nachweisbar, vor allem im Hennebergischen (Thüringen). Im aktuellen  Sprachgebrauch befindet es sich wohl nur noch in bestimmten Gegenden des Oberwesterwaldes, wie in Hölzenhausen.

1. Strophe des Wilhelmus:

wilhelmus_noten

„Wilhelmus von Nassawe (1)
bin ich von teutschem blut,
dem vaterland getrawe (2),
bleib ich bis in den todt,
Ein printze von Uranien (3)
bin ich frei unerfehrt,
den könig von Hispanien (4)
hab ich allzeit geehrt.

Wilhelm von Oranien (24. April 1533 in Dillenburg – 10. Juli 1584 in Delft / Niederlande), der „Wilhelmus” des Liedes und von den Niederländern als „Vater des Vaterlandes” verehrt, kam aus Dillenburg, war also ein Westerwälder. Im Alter von 12 Jahren zog er nach Breda, um sein Erbe von René von Oranien anzutreten. Auch nach seiner Flucht vor den Spaniern lebte er noch einmal 5 Jahre in Dillenburg.

Bei der Auflehnung der Niederlande gegen die spanische Tyrannei und die Einführung der Inquisition wurde Wilhelm zur großen Symbolfigur des Aufstandes, über den auch Schiller und Goethe geschrieben haben.

In diesem Kampf verlor Wilhelm nicht nur sein eigenes Leben durch ein Attentat, sondern auch drei seiner vier Brüder: Adolf fiel 1568 bei Heiligerlee, Ludwig und Heinrich starben 1574 bei der für Nassau einer Katastrophe gleichkommenden Schlacht auf der Mooker Heide.

Nur sein Bruder Johann VI. überlebte und regierte die von Siegen über den Westerwald bis Diez reichende Grafschaft Nassau-Dillenburg bis zu seinem Tod im Jahre 1606.

Johann mobilisierte alle auf dem Westerwald noch verfügbaren Ressourcen, um den Krieg der Niederlande gegen Spanien zu unterstützen: Geld und Soldaten. Viele Soldaten verloren ihr Leben wie auch ihre Befehlshaber, so dass der Historiker Lutz Hatzfeld schrieb: „Die Blüte des Westerwälder Adels ging in den Niederländischen Befreiungskriegen dahin.”

So kann man mit Fug und Recht sagen, dass der Westerwald einen wichtigen, vielleicht entscheidenden Beitrag geleistet hat zur Freiheit unseres Nachbarstaates, einem wichtigen Meilenstein der Entwicklung der bürgerlichen und rechtsstaatlichen Demokratien Europas.

Die Gesamtsumme, die Nassau-Dillenburg und damit Westerwald und Siegerland zur Verfügung stellten, wird auf für die damalige Zeit unfassbare 1,5 Millionen Gulden geschätzt.

(1) Sprich: Nassaue.
(2) Sprich: getraue (treu)..
(3) Oranien.
(4) König von Spanien = Philipp II., als Rechtfertigung gemeint.


Quellen:

  • Niederländisches Königshaus: Nationalhymne
    https://www.koenigshaus.nl/themen/nationalhymne/anlasse-melodie-und-text
  • Karl Christian Ludwig Schmidt: Westerwäldisches Idiotikon.
    Gelehrten-Buchhandlung, Hadamar und Herborn 1800. Reprint Landesmuseum Koblenz 1982.
  • Eberhard Nehlsen: Wilhelmus von Nassauen. Studien zur Rezeption eines niederländischen Liedes im deutschsprachigen Raum vom 16. bis 20. Jahrhundert. Niederlande-Studien. Band 4. LIT Verlag, Münster 1993. (Dissertation an der Universität Oldenburg 1992.)
  • Eberhard Nehlsen: Die Rezeption des Wilhelmsliedes im deutschsprachigen Raum. In: Horst Lademacher (Hg.): Oranien-Nassau, die Niederlande und das Reich. Beiträge zur Geschichte einer Dynastie. Niederlande-Studien. Band 13. LIT Verlag, Münster 1995. S. 275–282.

    Anmerkung: Wikipedia schreibt irrigerweise “verfehrt” (mit “v” am Anfang).
idiotikon
erfehrt

Auszug aus dem “Idiotikon” = ein damals nicht abschätzig gemeinter Begriff für ein Fachbuch, das Dialekt-Ausdrücke enthält.

Der Verfasser Karl Schmidt (1763–1815) kam aus Gemünden und arbeitete als Pfarrer in Willmenrod. Die Aussprache der “Idiotismen” ist deshalb aus dieser Gegend entlehnt.

“Erfehrt” schreibt Karl Schmidt entgegen dem Wilhelmus mit “ä” in der Mitte.

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Der Verfassertext oben auf der Seite wurde im Oktober 2019 in stark gekürzter Form von der Westerwälder Zeitung in der Rubrik „Su schwätze mer” veröffentlicht.

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Hochgeladen am 1. Mai 2022. Zuletzt aktualisiert am 12. August 2023.