Geschichtswerkstatt Hölzenhausen
Nassauischer Löwe

 

Materialien der Geschichtswerkstatt Hölzenhausen

Anmerkungen zur nassauischen Sprache

von Peter Eisenburger

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Abb. 1–3: Ausschnitte aus: August Höfer: Die nassauische Sprache.

Der alte nassauische Dialekt gehört zu den moselfränkischen Sprachen, vom Elsass über Trier bis in den Westerwald das “Platt” genannt. Die Franken, deren Kernsiedlungsgebiet im Raum Nordfrankreich / Belgien / Aachen lag, brachten diese Sprache mit nach Deutschland, als sie es eroberten.

Den zentralen Westerwald, in dem Hölzenhausen liegt, besiedelten fränkische Stämme, die von der Mosel aufwärts zunächst zum Rhein, dann über die Lahn und vom Limburger Becken aus den Elbbach hoch kamen. In unserer Gegend wurden die ersten fränkischen Siedlungen wohl im 5./6. Jahrhundert errichtet. Dazu an anderer Stelle mehr.

Der nassauische Dialekt ist keineswegs eine ungewöhnliche oder minderwertige Sprache, ist kein regionaler Verfall oder eine Entartung der deutschen Hochsprache, sondern gehört zu einer von mehreren fränkischen Sprachfamilien. Moselfränkisch sprach man auch am Hofe Karls des Großen. Ob das ein heutiger Westerwälder allerdings verstehen würde, kann bezweifelt werden, da sich auch unsere Sprache ständig weiterentwickelt hat. Es existieren aber einzelne Wörter, die man bis ins Althochdeutsche zurückverfolgen kann, also bis in die Zeit vor dem Jahr 1000. Ein Beispiel dafür ist: *erfehrt*.

Den Ursprung des nassauischen Dialektes aus dem Fränkischen erkennt man auch an dem stark nasalen Einschlag. Deshalb fällt es Westerwäldern leicht, richtig Französisch zu betonen. Dans, beaux, matin – drei unterschiedlich ausgesprochene Nasallaute, die von Westerwäldern spielend leicht gesprochen werden

Wie die anderen deutschen Dialekte, vor allem die in der Mitte des Landes vorkommenden, wurde das Westerwälder “Platt” durch das Aufkommen des Hochdeutschen ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts stark zurückgedrängt. Dabei ist “Hochdeutsch” ist nichts anderes als die Kanzleisprache, die sich im späten Mittelalter im Sächsischen (dem heutigen Niedersachsen) entwickelte, sich allmählich als Standard in ganz Deutschland durchsetzte, immer weiter verfeinerte und an Komplexität zunahm.

In einigen Regionen gab es Widerstand gegen das Hochdeutsche. Bekannt und historisch gut belegt ist der langanhaltende Kampf der Herrschaft (“Herrlichkeit”) Stein bei Maastricht gegen die Einführung des Hochdeutschen als Verwaltungs- und Gerichtssprache, dass man nicht verstehen würde und weshalb man auf dem Amt und vor Gericht benachteiligt sei. (1) Der Streit wurde erst dadurch entschieden, dass die Herrschaft Stein nach den Grenzziehungen des Wiener Kongresses an die Niederlande kam.

Die Niederlande haben sich insgesamt ihre Sprache bewahrt – aber auch nur deshalb, weil sich die Vereinigten Niederlande ab dem 16. Jahrhundert als eigener Staat etablierten, ja übrigens unter der Führung des aus Dillenburg im Westerwald stammenden Wilhelm von Oranien.

Leider wurde den Westerwäldern ihre Muttersprache vergrault, unter anderem durch Lehrer, die Eltern dazu animierten, ihre Kinder nur noch Hochdeutsch sprechen zu lassen. Ãœberlebt hätte die Sprache trotzdem nicht. Durch den Einfluss der Medien, der Arbeitswelt und der Mobilität (der “Verkehrsströme”) gehen alle Dialekte verloren. Nur noch wenige ältere Menschen können den nassauischen Dialekt überhaupt richtig sprechen. Auch der Verfasser muss manchmal überlegen...

Ein Beispiel sind auch die alten Vornamen, mit denen ich in einem Fall in meiner Dissertation zu tun habe. Wie sprach man “Johann Georg” aus? Dazu ist eine Menge Forschungsarbeit nötig. Dann findet man zunächst heraus, dass früher im Nassauischen im Gegensatz zu heute der zweite Vorname entscheidend war. Der erste war eine Art Modeerscheinung. Eine Zeit lang hieß fast jeder “Johann” (wegen der großen Bedeutung des Apostels Johannes). Aber man kann auch nicht einfach nur den zweiten Vornamen nehmen. Dann würde man es sich zu einfach machen. Und auf keinen Fall sagte man “Schorsch”, das kam erst viel später auf, aus dem süddeutschen Raum. Im 19. Jahrhundert wurden im Westerwald die beiden Vornamen, die man hatte, in vielen Fällen zusammengezogen, so in unserem Fall zu “Hanjer”, bei manchen auch zu “Hanjörg”.

In wenigen Jahrzehnten wird diese Sprache überhaupt niemand mehr benutzen und keiner mehr wissen, wie man sie wirklich aussprach.

Unsere Sprache hat übrigens nichts mit dem Hessischen zu tun. Mir schwätze, mir babbele net. Und wir, die Nassauer, gehörten auch nie zu den Hessen. Im Gegenteil waren die Hessen in der Geschichte eher unsere Feinde, zeitweise auch fast Todfeinde. Der Begriff “Hessen-Nassau” wird oft missverstanden. Die preußische Provinz dieses Namens, die von 1866 bis 1945 bestand, war die Verbindung von Nordhessen (Kurhessen) und Nassau. Man sieht es heute noch an der Bezeichnung der evangelischen Kirchenprovinz “Hessen und Nassau” (EKHN).

(1) A. Munsters: De strijd tegen het hoogduits te Stein. In: De Maasgouw Jaargang 68 (1949). S. 94–97.

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Abb. 4: Das deutsche Sprachgebiet. Aus: Rudolf Schützeichel: Die Entstehung der neuhochdeutschen Schriftsprache. In: Nassauische Annalen 78 (1967). S. 75–92. Hier S. 76. Der Westerwald liegt in dem nordöstlichen Zipfel des mittelfränkischen Sprachraums, von dem der moselfränkische Bereich wiederum ein Teilgebiet ist. Die Sprachgrenzen gehen analog zur territorialen und kirchlichen Erschließung im Mittelalter. Der Westerwald wurde vom Bistum Trier aus missioniert und organisiert, Hessen, wo das Rheinfränkische gesprochen wird, vom Bistum Mainz aus. Ein Bistum Limburg gibt es ja erst seit 1827.

Die Abbildung zeigt auch eindrücklich, warum das Westerwälder “Platt” wie die anderen fränkischen Dialekte für viele Menschen eigenartig klingt: Es gehört zu keiner der beiden großen deutschen Sprachfamilien, dem Niederdeutschen und dem Oberdeutschen.

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Hochgeladen am 1. März 2022. Zuletzt aktualisiert am 12. August  2023.